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Kai Friedrich Schade (kfs)

Andere über kfs

Laudatio für Kai Friedrich Schade zur Ehrenpromotion 2008:
"Vom Kampf in der Zivilgesellschaft" von Dr. Hartmut Elsenhans
Laudatio zur Ehrenpromotion

Bischof Dr. Wolfgang Huber an kfs 2009

Bischof Dr. Wolfgang Huber an kfs 2005

Erhard Eppler in Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 24.04.1990 

Weitere Stimmen über kfs

Laudatio für Kai Friedrich Schade zur Ehrenpromotion 2008

Vom Kampf in der Zivilgesellschaft

Leipziger Universitätsreden
Professor emerit. Dr. Hartmut Elsenhans

Einer guten Tradition der deutschen Universität folgend, verleiht die Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie die Ehrendoktorwürde für Verdienste in der Verknüpfung von Wissenschaft, hier der in der Fakultät vertretenen Politikwissenschaft, mit dem Feld ihres Bemühens um Aufklärung über Wirklichkeit. Mit Kai Friedrich Schade ehrt die Fakultät einen hervorragenden Journalisten, der nicht nur bedeutende Leistungen bei der Dokumentation im weltweiten Politikfeld der Entwicklungspolitik und der Nord-Süd-Beziehungen erbracht hat, sondern inzwischen in seinem Politikfeld über Jahrzehnte Nabe in einem Netzwerk der Verknüpfung zwischen Wissenschaft und politisch Handelnden, Politikern und Kommunikatoren im gesamten deutschsprachigen Raum gewesen ist. Er hat einen für andere Politikfelder exemplarisch intensiven und sachorientierten Diskurs zwischen Wissenschaft und Praxis in zivilgesellschaftlicher Absicht organisiert. Er hat damit Zivilgesellschaft den Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen eröffnet, um ihre Aktivität durch Überschreiten ihres aus unmittelbarer Betroffenheit erwachsenden Engagements zu effektivieren, und schließlich Wissenschaft die Vermittlung ihrer gegenüber Betroffenheit differenzierteren Sichtweise ermöglicht.

Eine solche Vermittlung von Betroffenheit und Wissenschaft wird man zu Recht als Verteidigung von Vernunft, als Herstellung eines herrschaftsfreien Diskurses bezeichnen können, nämlich von Eröffnung von Sicht auf Realität in angemessener, komplexe Zusammenhänge berücksichtigender Verortung. Dadurch wird bloße Betroffenheit in Strategien implementierbarer Veränderungsmöglichkeiten verwandelt, in das Bohren dicker Bretter, das sich gegen Aufklärung blockierende kurzfristige und durch Partikularinteressen gesteuerte Vermachtung der autoritären Bewusstseinsstrukturen in spätkapitalistischen Gesellschaften mit ihrer repressiven Toleranz diskursiv durchsetzen kann.

Kai Friedrich Schade wurde von der Öffentlichkeit, Gegnern und wohlwollend Neugierigen wahrgenommen als Kommunikator, der verantwortlich eine Reihe von Konferenzen, von wissenschaftlichen Untersuchungsvorhaben, von Medien und Plattformen der Zusammenführung zwischen Kommunikatoren und Akteuren der Zivilgesellschaft initiierte, gründete, leitete oder in herausgehobener Stelle prägte. Ich nenne nur einige davon.

Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK), Dritte-Welt-Journalistennetz (DWJN), Bundeskonferenz der kommunalen Nord-Süd-Foren, Hessische Arbeitsgemeinschaft für entwicklungspolitische Bildung/Initiative Schulstelle Dritte Welt in Hessen (HABS), Arbeitskreis Dritte Welt in der IG Medien, Kongress Frieden – Ökologie – Entwicklung (FRÖLE), Internationaler Kongress „Schule und Dritte Welt“ in Wien, Frankfurter Stadtschulwoche „Frankfurt in der Welt – die Welt in Frankfurt“, drei Karikaturenwettbewerbe mit mitteleuropäischer, indischer und weltweiter Reichweite, Solidarisch leben lernen e. V. (SOLILE).

Die Liste zeigt, dass Kai Friedrich Schade sich an Schnittstellen von drei Issue Areas befand, die prägend für die Konstituierung der Zivilgesellschaft des westlichen Nachkriegsdeutschlands waren und dieses in seiner demokratisch postfaschistischen Identität gestalteten, nämlich der Friedensbewegung, der Umweltbewegung und der Solidaritätsbewegung mit den Armen in den Entwicklungsländern, Fanons „Verdammten dieser Erde“.

Im Mittelpunkt des Lebenswerks von Kai Friedrich Schade stand die Zeitschrift „Entwicklungspolitik“, deren Profil er in zahllosen Kämpfen als aufklärerisches Informationsorgan und als in ihrer Unabhängigkeit immer wieder zu verteidigende Diskussionsplattform maßgeblich entwickelte und in multiplikativer Weise der Öffentlichkeit weit über den direkt anzusprechenden Adressatenkreis der „highly involved people“ hinaus attraktiv machte, wenn auch wohl nur vorübergehend, wie der spätere Wandel der Zeitschrift nach seinem Ausscheiden als Chefredakteur heute als auf die Ökumene im engeren deutschen Zuschnitt orientiert und im Vergleich zu früher reduziert anzudeuten droht.

Entwicklungspolitik war ein Diskussionsforum, in dem Wissenschaft, Politik und näher und weiter stehende gesellschaftliche Kräfte sich präsentierten und argumentativ wetteiferten. Als Diskussionsplattform war die Zeitschrift ein Vehikel, das der Wissenschaft den Ausbruch aus ihrem Elfenbeinturm erlaubte. Kai Friedrich Schade und seine Mitarbeiter durchstreiften die Welt der Akademia, um hinter verfestigten Lehrmeinungen und Schulen Neues, neue Ideen und junge Wissenschaftler aufzuspüren. Die Liste der Autoren liest sich wie ein Gotha der deutschen wirtschaftswissenschaftlichen, soziologischen, erziehungswissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Diskussion, die sich in der Abgrenzung der jungen Generationen gegen die restaurativen Tendenzen der unmittelbaren Nachkriegsjahre nicht nur in den sogenannten 1968ern, sondern mit viel größerer Breitenwirkung seit dem Scheitern der CDU-Alleinherrschaft unter Ludwig Erhard durchsetzte, und die die zuvor eher in Lippenbekenntnissen formulierte demokratische Aufklärung nachhaltig durchsetzte. Ich nenne stellvertretend für viele: Ulrich Albrecht, Ernst-Otto Czempiel, Ihring Fetscher, Johan Galtung, Erhard Meueler, Franz Nuscheler, Detlev Kantowsky, Ekkehart Krippendorff, Kurt Leisinger, Wolfgang Sachs, Dieter Senghaas, Winfried von Urff, Hans-Jürgen Weiß, Ernst-Ulrich von Weizsäcker aus der Wissenschaft; Erhard Eppler, Uwe Holtz, Winfried Pinger, Jürgen Todenhöfer aus der Politik.

Viele Bezüge aus der deutschen akademischen Diskussion wurden in der Entwicklungspolitik für ein breites Publikum nachvollziehbar präsentiert. Viele neue Initiativen aus der Politik wurden hier zur Diskussion gestellt.

Dass Schades beruflicher Weg im Umfeld des diese Tendenz des Bruchs wie wenig andere repräsentierenden Brandt-Weggenossen Erhard Eppler ihren Anfang nahm, ist deshalb kein Zufall, ebenso wenig wie die erste Herausforderung, die überschießenden Forderungen der außerparlamentarischen Opposition der Jugend in einen Dialog einzubinden, der diese zu machbarer Politik umwandeln konnte, um das Verpuffen in politisch sterile idealistische Verweigerung zu vermeiden.
Die Zeitschrift Entwicklungspolitik hat mit der kontroversen Diskussion von Ideen und Initiativen – über ein breites Spektrum der politischen Landschaft der damaligen Bundesrepublik – die Entwicklungspolitik aus zwei gefährlichen Verkettungen herausgelöst:

Dieser Weg war durch viele Hindernisse und Fallen geprägt. Mitleid und Nächstenliebe sind wichtige Werte in der Welt der protestantischen Kirchen, besonders in Nachkriegsdeutschland gewesen, wo die pietistischen Tendenzen gerade deshalb und wohl historisch auch zu Recht stark waren, weil sie der faschistischen Versuchung – insbesondere in den konfessionell gemischten Gebieten des Westens und Südens Westdeutschlands – am frühesten und am nachhaltigsten Widerstand geleistet hatten. Sie waren weltweit in jenen Teil der protestantischen Welt eingebettet, der in der Form der Missionsgesellschaften und der Kampagnen gegen die Sklaverei schon im 19. Jh. über ein historisches Erbe antikolonialistischen Widerstands verfügte, aber gerade in dieser Tradition die Notwendigkeit gesamtgesellschaftlicher und gesamtwirtschaftlicher auch revolutionärer Umgestaltungen weniger in das Blickfeld einbezog als die eher kleinräumliche Linderung direkt sichtbarer Not.

Gerade im Kontakt mit der Generation des Aufbruchs der Jugend seit Mitte der 60er Jahre war bei Bloßstellung interessenpolitischer Vermachtung der entwicklungspolitischen und nord-süd-politischen Entscheidungsträger die Gefahr schwer zu vermeiden, Wasser auf die Mühlen einer damals weit verbreiteten simplifizierenden Kapitalismuskritik zu leiten. Die prinzipiell großen Möglichkeiten unterschiedlicher Orientierung innerhalb des Kapitalismus waren in den späten 60er Jahren in der linkshegelianisch geprägten Marx-Rezeption der akademischen Linken durch rigoristische Ableitungsphantasien geleugnet worden. An die Stelle der Auslotung von politisch durchsetzbaren Reformmöglichkeiten waren dürre Dogmen gesetzt worden. Wer dabei übrigens durchaus in kritischem Bezug auf die Marx’sche Theorie Veränderungsmöglichkeiten gleichwohl als ohne die „große“ Revolution implementierbar behauptete, riskierte leicht, als „Reformist“ beschimpft zu werden, der den historischen Prozess der Revolution eher behindere, weil er Illusionen verbreite. Es gehört zu den Treppenwitzen des westdeutschen kleinbürgerlichen Marxismus der 60er und 70er Jahre, dass manche der Wortführer dieser Position heute zu den Protagonisten der Auffassung gehören, dass Globalisierung eben unkorrigierbar als Schicksal zu erleiden sei, das nicht zu gestalten wäre, oder gar die Eingliederung der Bundesrepublik in Kautskyanische ultraimperialistische Allianzen von kapitalistischen Interventionsmächten vorangetrieben haben.

Nicht zufällig waren im Bereich von Schades Entwicklungspolitik im Unterschied zur übrigen Entwicklungspolitik diese rigoristischen marxistischen Positionen selten. Der Zeitschrift gebührt im Nachhinein dafür Anerkennung, dass sie einer offenen Theoriediskussion Raum gab und dabei zugleich auf konkrete Möglichkeiten der Veränderung hinwies.

Erreicht wurde diese Differenziertheit auch dadurch, dass die Zeitschrift Stimmen aus der Dritten Welt Gehör verschaffte. Sie wurde die breiteste Quelle für relevante Texte aus Asien, Afrika und Lateinamerika, die ohne sie die deutsche Öffentlichkeit nie erreicht hätten. Die Zeitschrift wurde deshalb auch gerade wegen ihrer breiten journalistischen Berichterstattung und Diskussion in multiplikativ wirkenden Kreisen intensiv genutzt und rezipiert.

Frühzeitig wurde erkannt, dass die Aufmerksamkeit für eine solche differenzierte Position nur dann gesteigert werden konnte, wenn die metakommunikativen Einstellungsmuster möglicher Adressaten korrigiert werden konnten. Die Zeitschrift war deshalb an der allfälligen Aufhellung von Inhalten des Alltagsbewusstseins in ihrem Politikfeld in Deutschland offensiv beteiligt, so in der Untersuchung von Topoi zur Dritten Welt, die zum Beispiel gängig, übrigens nach Schultyp verschieden, in deutschen Schulbüchern vermittelt wurden. Fast legendär wurde die aus letzterem erwachsene Publikation „Heile Welt und Dritte Welt – Medien und politischer Unterricht – Schulbuchanalyse“, vorgelegt von Karla Fohrbeck, Andreas J. Wiesand und Renate Zahar.

Kai Friedrich Schade wurde für seine journalistische und redaktionelle Tätigkeit mehrfach mit Ehrungen bedacht. Viermal erhielt er allein den „Medienpreis Entwicklungspolitik“, verliehen von den Bundespräsidenten Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Johannes Rau und Horst Köhler.

Solche Aufklärung konnte nur organisieren, wer drei Eigenschaften mitbrachte, nämlich eigene wissenschaftliche Kompetenz, Mut und Bescheidenheit.
Kai Friedrich Schade hat selbst wissenschaftlich gearbeitet. Er publizierte in angesehenen Zeitschriften, wie der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, German Economic Review, International Social Science Review, Intereconomics und anderen und hat zu wichtigen Sammelbänden beigetragen oder sie herausgegeben, z. B. „Dritte Welt in den Medien der Schule“ in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung.

Kai Friedrich Schades Stärke lag in der sokratischen Funktion der Hebamme. Wo Neues von ihm wahrgenommen wurde, hat er (häufig noch sehr junge) Autoren ermutigt und sie lanciert. Er hat ihnen bei Gesprächen aufmerksam zugehört, in der Vorbereitung von Publikationen in seiner Zeitschrift sie mit gezielten Fragen zur Zuspitzung und Differenzierung ihrer Thesen ermuntert, ihre Beiträge auf die in Folgebeiträgen noch zu vertiefenden Aspekte abgeklopft und die Autoren bei den sich entspinnenden Kontroversen solidarisch begleitet.

Überragende Eigenschaften von Kai Friedrich Schade sind jedoch seine Unerschrockenheit und sein Mut. Nur vordergründig ist hier seine Auseinandersetzung mit staatlichen Institutionen zu nennen. Sicher war das Gesellenstück der Kampf gegen die Bespitzelung durch den Bundesnachrichtendienst. Dieser hatte wegen der im Auftrag des damals amtierenden Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgenommenen Kontakte zur außerparlamentarischen Opposition die Entlassung aus dem Dienst des Ministeriums betrieben, die vom nachfolgenden Minister Erhard Eppler dann verhindert wurde.

Da in der Folgezeit Kai Friedrich Schade nach einer ebenso kurzen wie äußerst intensiven Tätigkeit im Entwicklungsministerium nicht mehr im öffentlichen Dienst tätig war – im Mittelpunkt seiner Tätigkeit stand dann ja die Zeitschrift –, hatte Kai Friedrich Schade von staatlichen Institutionen insgesamt weniger Drastisches zu befürchten, vom weiteren Interesse des BND und MAD einmal abgesehen.

Noch mehr Unerschrockenheit und Mut waren jedoch in der Auseinandersetzung innerhalb der Zivilgesellschaft, in der Kai Friedrich Schade operierte, erforderlich. Kai Friedrich Schade musste sehen, dass Macht in unserer Gesellschaft nicht dem Verfassungsverständnis der Liberalen des 19. Jh. entsprechend primär von staatlichen Instanzen gegen eine vorwiegend dem Freiheitsziel verpflichtete Zivilgesellschaft ausgeübt wird, sondern selbst die Zivilgesellschaft strukturiert. Er leitete eine Zeitschrift, die organisatorisch bei Institutionen der Zivilgesellschaft, hier unmittelbar der Nachrichtenagentur epd (Evangelischer Pressedienst) angesiedelt war. Wie andere Institutionen der Zivilgesellschaft nahmen auch die Institutionen der Zivilgesellschaft, die der Zeitschrift nahe standen, am Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft teil. Dieser Meinungsbildungsprozess vollzog sich jedoch nicht allein über das Argument. Gewiss haben diese Institutionen Argumente präsentiert, um Gegenpositionen argumentativ zu entkräften und eigene Positionen in ihrem Ansehen in der Öffentlichkeit zu festigen. Es ging ihnen jedoch bei dieser als Argument präsentierten Profilierung auch um die Festigung der metakommunikativen Einstellungsmuster ihnen mehr oder weniger zugewandter Teile der Öffentlichkeit. In einer solchen Auseinandersetzung spielte nicht nur das einzelne Argument zu einer spezifischen Frage eine Rolle. Argumente sollten gleichzeitig langfristig wirksame Bilder über den Sender und seine Konkurrenten beeinflussen.

„Wenn selbst dieser Akteur dies oder jenes sagt, dann muss dasselbe Argument, vom Gegner vorgetragen oder zugespitzt, doch wohl eher richtig sein“, oder „wenn dieser Sender sich auf ein Argument eines Konkurrenten einlässt, dann – so wird als erwiesen angenommen oder befürchtet – zeigt dies die nunmehr größere Glaubwürdigkeit des Rivalen.“

Vielleicht gibt es in der Zivilgesellschaft Akteure, die sich in ihrem Verhalten der herrschaftsfreien Gesprächssituation eines Habermas annähern. Je größer die Rolle der Zivilgesellschaft für den Meinungsbildungsprozess, desto mehr müssen die Sender darauf achten, die Kosten der Überzeugungsarbeit zu vermindern. Sie haben davon auszugehen, dass Adressaten und Konkurrenten komplexe Zusammenhänge nur in Einzelfällen voll ausdiskutieren, so dass unter der Prämisse von Unsicherheit ähnlich der Entscheidungsprozesse innerhalb der Ökonomie Daumenregeln befolgt werden müssen, die – da sie nicht unbedingt situationsangemessen sind – dann besonders erfolgreich sind, wenn ihre Ergebnisse von einem eher wohlwollenden Publikum aufgenommen werden, das sie nicht unbedingt hinterfragt. Sender können deshalb die Kosten ihrer Überzeugungsarbeit vermindern, wenn es ihnen gelingt, auf der metakommunikativen Ebene Beziehungen des Vertrauens zu den von ihnen besonders angesprochenen Teilen des Publikums herzustellen. Wenigstens einige, und vielleicht zunehmend viele Akteure verhalten sich dann in ihrer Kommunikation strategisch: Das aktuell vorgebrachte Argument darf selbst in seiner Einbettung in die Auseinandersetzung für die langfristig zu schaffende Vertrauensbasis und damit für das immerfort zu pflegende Image nicht kontraproduktiv wirken, indem es Zweifel schaffen könnte.

Eine Zeitschrift, die laufend neue Diskussionen lanciert und bisher Geglaubtes in Frage stellt, ist hier ein Störfaktor. Sie muss im Interesse der Reduzierung der Kosten der Durchsetzung eigener Argumente „eingebunden“ werden. Und dazu muss eine solche Zeitschrift wie Entwicklungspolitik selbst bei Beachtung der journalistischen Freiheit in die Langfriststrategie des Umfelds eingebunden werden, gegebenenfalls auch durch eine mehr oder weniger sanfte Verdeutlichung von Anreizstrukturen des Umfelds in Bezug auf die Entscheidungsstrukturen der Zeitschrift. Kai Friedrich Schade hat in einem jahrelangen Kampf um die Unabhängigkeit seiner Zeitschrift auch gegenüber den Kräften der Zivilgesellschaft, mit denen sie verbunden war, Flagge zeigen müssen.

Ich habe ihn dabei nicht nur bewundert, sondern in gewisser Hinsicht auch beneidet. Ohne seine Frau Susanne, die heute unter uns ist, hätte er nicht die Kraft gehabt, diesen Kampf durchzustehen, bei dem ja auch häufig Mitarbeiter im engeren Umfeld von den „vernünftigen“ verbündeten Kräften aus der Zivilgesellschaft für solche „strategischen“ Positionen gewonnen wurden. Susanne hat mit ihrer eigenen Selbstständigkeit ihm „den Rücken“ frei gehalten und ihn beim Festhalten am eigenen Ziel der Offenheit des diskursiven Verhaltens gegen das geforderte strategische Verhalten gestützt.

Nicht nur mit den eigenen Zielsetzungen, sondern auch mit dem eigenen Lebensschicksal steht Kai Friedrich Schade für eine in unserer eigenen Wissenschaft viel zu wenig thematisierte Besonderheit des Ideals der diskursiven Offenheit. Am Anfang des Kampfs der bürgerlichen Gesellschaft um ihre Emanzipation von politischer Bevormundung durch etablierte Mächte stand die Entlegitimierung der Herrschenden. Als dieser Kampf gewonnen war und der „freie“ Diskurs zumindest idealiter Quelle der Legitimation von Herrschaft werden konnte, war die Behauptung von Macht davon abhängig geworden, dass die Inhaber von Macht im Diskurs der Zivilgesellschaft gestützt wurden. Die Anwendung von anderen Ressourcen als der Vernünftigkeit von Argumenten wurde in die von Macht frei nur gedachte Zivilgesellschaft, auch in ihre Medien aber hineingezogen. Die Bewahrung des Rechts auf Befolgung sachbezogener Vernünftigkeit muss von einem dezentral operierenden Akteur aus einer Position relativer Machtlosigkeit stets aufs Neue gegen auch zivilgesellschaftliche Akteure mit strategischem Kommunikationsverhalten und daraus resultierender relativer Machtfülle stets neu erstritten werden. An der Drohung von Journalisten gegenüber einem Politiker im letzten Jahrzehnt, ihn in wenigen Monaten „herunterschreiben“ zu können, wird dieses machtstrategische Verhalten deutlich. Solche Macht hat ihre Grundlage in der fehlenden Bereitschaft des Publikums, in jeder einzelnen Frage „den Dingen auf den Grund“ gehen zu wollen, um nicht an Überinformation zu scheitern. Wir kennen solches Verhalten aus der Theoretisierung des Unternehmerverhaltens. Hier werden oft Daumenregeln befolgt anstatt der wirtschaftswissenschaftlich modelltheoretisch konstruierten Regel der Optimierung von Entscheidungen im Verhältnis zu Wirtschaftsdaten, weil auch die Informationsbeschaffung und -verarbeitung Kosten verursachen. Ähnlich werden im Bereich der Diskurse nur einzelne Themenbereiche zum Teil wegen der Betroffenheit von gesellschaftlichen Interessen auf ein Niveau gehoben, bei dem eine ausreichende Zahl von Kommunikatoren eine gründliche Erörterung der Argumente für zweckmäßig hält, anstatt tradierten oder von mächtigen Gruppen ad hoc behaupteten Inhalten zu folgen. Sicher und weiterer Überprüfung nicht bedürftig erscheinen insbesondere solche Inhalte, die von Autoritäten verbreitet werden, die sich in vergangenen Kontroversen Prestige erworben haben. Kommunikatoren auch im zivilgesellschaftlichen Bereich müssen, ähnlich wie von mir bei den Staatsklassen aufgezeigt, auf Prestige und Glaubwürdigkeit achten, um die Kosten der sonst real notwendigen Implementierung ihrer Inhalte im Diskurs zu vermindern und, im Hinblick auf nicht vermeidbare Issues, zu optimieren.

Unsere Sicht der Zivilgesellschaft hat sich dieser Vermachtung noch nicht angepasst. Wir träumen von der Herstellbarkeit der Sphäre des herrschaftsfreien Diskurses, weil die Legitimität bürgerlicher Gesellschaft, auf die unser Sozialvertrag beruht, aus der Polarität zwischen politisch staatlicher Sphäre von Herrschaft und kritischer herrschaftsfreier Sphäre der sich vom Staat emanzipierenden Gesellschaft beruht.

Was aber, wenn die herrschaftsfreie Zivilgesellschaft nur eine an historisch partikuläre Konstellationen gebundene Konfiguration ist? Die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber vermachteten Strukturen des Ancien Regime hat sich in einer Zeit vollzogen, in der das Ancien Regime zunehmend auf in ihrer Legitimität niedergehende Institutionen der Aneignung von Renten begrenzt wurde. Die Bourgoisie, wenigstens immer „neu auftauchende“ Schichten der Bourgeoisie, die sich nur unter der Bedingung freier Konkurrenz mit Innovationen in immer neuen Produktionszweigen durchsetzen konnten, wollte die Abschaffung der Reglementierung von Wirtschaft. Ihr Zugang zum wachsenden wirtschaftlichen Überschuss beruhte auf der Wettbewerbsfähigkeit auf tendenziell vollkommenen Märkten. Die herrschaftsfreie Aneignung von Profit statt Renten erforderte keine Vermachtung der Zivilgesellschaft. Sie konnte sich damit auf die weitere Zersetzung hergekommener Autoritäten beschränken.

Mit den konkurrenzorientierten Bürgern trat in Wettbewerb die sich herausbildende Arbeiterklasse, die die Forderungen einer Vielfalt ihrer Mitglieder unter den Bedingungen der Generalisierung des Lohnarbeitsverhältnisses auf allgemeine Regeln für den Arbeitsvertrag, Lohnsatz, Arbeitszeit, rudimentäre Arbeitsbedingungen bündeln musste. Ihr Zugang zum steigenden Produktionsergebnis hing nicht von Einzelmaßnahmen zugunsten partikulärer Interessen ab, sondern von der Konfrontation zwischen Kapital und Arbeit im Rahmen tendenzieller Vollbeschäftigung, innerhalb derer Arbeit knappheitsbedingt selbst im individuellen Arbeitsvertrag produktivitätsorientierte Lohnsteigerungen durchsetzen konnte. Politisierung erfolgte entlang gesellschaftlicher Lager auf der Grundlage zweier rivalisierender Weltsichten, weil die Tendenz zur Vollbeschäftigung nur zeitweise arbeitsmarktpolitisch wirksam war, so dass zusätzlich Solidarität zur Wahrung schon erstrittener Erfolge notwendig war.

Mit dem Niedergang der Kräfte des Ancien Regime entfiel für die Bourgoisie der sie auf homogene Interessenwahrnehmung verpflichtende Gegner. Die Zugänglichkeit von ihr selbst beeinflussbarer Institutionen schuf Fraktionen mit unterschiedlicher Marktmacht und damit unterschiedlichen Interessen.

Mit dem Anstieg der Realeinkommen für Arbeit und der zunehmenden Diversifizierung der für Produktivitätssteigerung notwendigen Qualifikation differenzierten sich auch die Lebenslagen der Arbeiter. Der politische Kampf um nunmehr aus der Tendenz zu Marktunvollkommenheiten dezentral auftretenden Monopolrenten leitete eine Segmentierung der beiden Klassen der bürgerlichen Gesellschaft ein. Der Rückgang der Knappheit als Folge der Entwicklung der Produktivkräfte ließ neben den sicher immer noch strukturbildenden Verteilungskonflikten weitere, zuletzt sogar „postmaterialistische“ Zielsetzungen an Bedeutung gewinnen. Häufig handelt es sich um kollektive Güter, deren Erstellung kollektiv organisiert werden muss. Dies erfordert wiederum die Bildung in ihren jeweiligen Zielsetzungen begrenzte politische Strukturen mit partikulären Organisationsinteressen, an die partikuläre Interessen verfolgende private Bürokratien angebunden sind, die durchaus – so belegt in der Kritik der Nichtregierungsorganisationen in der Dritten Welt – in ihrem Verhalten den als „ehernes Gesetz der Oligarchie“ beschriebenen Regeln folgen.

Im Kampf gegen die Kräfte des Ancien Regime konnte die Zersetzung alter Weisheiten reichen, um den aufsteigenden Klassen, Bourgoisie und Arbeiterschaft, die Zerschlagung der gegnerischen Legitimität zu erlauben. In diesem Kampf waren Räume der Diskussion entstanden, in denen primär die Zersetzung vermachteter Strukturen der Bewusstseinsbildung ausreichte, also Aufklärung. Hier wurden relativ homogene Klassen durch intellektuelle Produktionen ausreichend bedient, die vermachtete Strukturen entlegitimierten, ohne dabei andere neue Legitimationen aufbauen zu müssen. Dies erklärt die Konzentration auf die Rechtfertigung der bürgerlichen Freiheitsrechte und der wie immer sozialpolitischen abgesicherten Gleichheit in der Form der Bestimmung des Ausmaßes von Regelungen, die im Arbeitsvertrag Platz finden dürfen, z. B. die maximale Arbeitszeit.

Zerfallen die beiden Klassen der bürgerlichen Gesellschaft durch verstärkte Marktunvollkommenheiten, Ausdifferenzierung der Zielsetzungen in der Folge des Endes generalisierter Armut der vielen und des Wegfalls eines auch juristisch (Ständegesellschaft) privilegierten Ancien Regime, bemächtigen sich rivalisierende Gruppen der Deutungsmacht, um ihr Interesse an Überleben zu befriedigen. Die Zivilgesellschaft ist nicht mehr der Tummelplatz von als „Autoren“ auftretenden Protagonisten der Kritik, sondern der Organisation der Auseinandersetzungen zwischen partikularistisch orientierten Organisationen. Es ist modisch geworden, diese organisatorischen Strukturen als Netzwerke zu rühmen, um zu behaupten, dass hier nicht politische Herrschaft ausgeübt wird. Wie viele Produzenten von Ideen können sich heute noch ohne solche Netzwerke Gehör verschaffen?

Tatsächlich sind solche Netzwerke, in denen sich alte und neue Kräfte und Organisationstypen zusammenschließen – exemplarisch in den Kirchen und den um sie sich gruppierenden Nichtregierungsorganisationen – aber Teile eines Machtwettbewerbs, allein schon deshalb, weil jede einzelne Organisation auch Ihr Interesse am eigenen Überleben verteidigt. Dazu müssen sie Zugriff auf Ressourcen verteidigen. Es reicht dazu nicht, dass ihre Argumente als richtig wahrgenommen werden. Entscheidend ist, dass ihre Argumente als ihnen zuzuordnende und damit ihre Legitimität begründende wahrgenommen werden. Das gleiche Argument als Ressource einer rivalisierenden Organisation kann dann gefährlich werden, wenn mit dieser Organisation kein „Erträgnisteilungsvertrag“ in Form einer Netzwerkverbindung geschlossen werden kann. Machtsicherungsstrategien zur Verteidigung der eigenen Domäne werden notwendig. Nichtregierungsorganisationen sind nicht verschieden von anderen Organisationen, die auf (Deutungs-) Macht und die für Deutungsmacht notwendigen komplementären Ressourcen ausgerichtet sind, die sie durch Macht aus dem gesamtwirtschaftlichen Produktionsergebnis beziehen, auf der Grundlage von Macht, also als Renten. Sie können dann machtbewusstes Handeln nicht vermeiden und sind also – ähnlich den guten alten Kaisern – gegenüber ihrer Ressourcenbasis aus der Welt von Arbeit und Produktion bestenfalls wohlwollend.

Für die Aufklärung bestand die Zielsetzung der Ideenproduktion in der Befreiung von selbst verschuldeter Unmündigkeit. Marx hat diese Analyse vertieft. Durch Aufhebung von Entfremdung (als Beschränkung von Gleichheit durch die Ersetzung selbstbestimmter Tätigkeit durch fremdbestimmte Arbeit für Produktion von marktgängigen Waren) und von Ausbeutung (als Vorenthaltung materieller Ressourcen für die Entfaltung der Persönlichkeit der großen Masse, nämlich der keine Produktionsmittel besitzenden Arbeiter) sollten alle, und nicht nur wenige Privilegierte, sich aus der vom Ancien Regime auferlegten Unmündigkeit befreien können.

Weil dieser Kampf gegen das Ancien Regime von Bourgeoisie und Arbeit erfolgreich geführt wurde und weil dabei Arbeit durch Lohnsteigerungen den Kapitalismus vor Überproduktionsgefahren, fallenden Profitraten und Einschränkung der Wachstumsmöglichkeiten gegen die kurzsichtig formulierten Interessen der Kapitalisten retten konnten, gelang in der heute entwickelten Welt die Beseitigung von Knappheit materieller Ressourcen. In der Folge entstand eine reichhaltige, durch unterschiedliche Zielsetzungen geprägte Zivilgesellschaft, in der – wegen des erreichten Lebensstandards – die unmittelbaren materiellen Interessen transzendiert wurden.

Im Bereich der Entwicklungspolitik und der Nord-Süd-Beziehungen ist diese Abkopplung von der Vertretung der unmittelbaren zunehmend ausdifferenzierten Interessen des Arbeits- und Produktionssektors besonders stark.

Letztlich ist die unterentwickelte Welt für die Reproduktion des entwickelten Kapitalismus unwichtig. Die Durchsetzung der industriellen Revolution in Nordwesteuropa beruhte nicht auf der Ausbeutung der Dritten Welt. Wer von solcher Ausbeutung zu viel bekam, wie Spanien und Portugal, erlitt wie heute die Ölländer Stagnation durch „Dutch Disease“. Die Märkte für die ursprünglich qualitativ niedrigen Massenprodukte der sich industrialisierenden Wirtschaften entstanden durch steigende Realeinkommen der Masse in der sich industrialisierenden Welt Europas und der Siedlungskolonien der neuen Welten. Bis Ende des 19. Jh. spielten die Rohstoffe der Dritten Welt für das industrielle Wachstum der ersten Welt eine eher begrenzte Rolle. Kohle und Stahl kamen aus den Zentren der industriellen Entwicklung. Vollkommenen Wettbewerb auf den Energiemärkten hat die führende Industriemacht, die USA, bewusst, und heute durch Tolerierung der OPEC und deren Monopolstrategien (dies spätestens seit 1969) erfolgreich verhindert, weil vollständige Konkurrenz auf den Weltenergiemärkten angesichts der Verteilung der Öllager zu gefährlicher Abhängigkeit des Westens von einer politisch unsicheren nicht entwickelten Dritten Welt geführt hätte. Auch ohne Billigwarenimporte aus China wäre unser Wohlstand in den letzten Jahrzehnten vergleichbar gewachsen.

Ausbeutung der Dritten Welt ist nicht notwendig für Wachstum. Entwicklung im Süden ist kompatibel mit weiterem Wachstum im Westen. Solche Entwicklung im Süden ist heute angesichts der Auswirkungen der über Exporte verarbeiteter abwertungsgetrieben verbilligter Produkte auf die Aufrechterhaltung der Verhandlungsmacht von Arbeit in der Regulierung von Produktionskapazität und Konsumtionskapazität im Westen eine Voraussetzung für die dauerhafte Aufrechterhaltung von kapitalistischen Wirtschaften hierzulande.

Weil die materiellen Interessen des Westens in der Entwicklungspolitik gering sind und sich auf äußerst partikuläre Weise äußern (z. B. in der Vergabepolitik für Entwicklungshilfe zugunsten von Ländern, von denen sich Unternehmen im eigenen Land Aufträge erhoffen), sind in diesem Politikfeld die Organisationen der Weltdeutung besonders stark. Sie müssen mit ihren Deutungsmustern Einfluss gewinnen und dabei das schwache Band des Appells an die Beziehung zwischen der eigenen Respektabilität und in der Gesellschaft geglaubten Konkretisierungen moralischer Werte pflegen. Sie müssen nicht nur argumentativ überzeugen, sondern auch die in der Gesellschaft verbreiteten Bedingungen für die Möglichkeit stärken, dass in der Gesellschaft ihre Argumente wahrgenommen werden. UNICEF hat gezeigt, wie fragil das Kapital „Ansehen“ ist und wie stark es komplettiert werden muss durch professionelle Lobbytätigkeit, nämlich vermachtete Kommunikation. Um hier erfolgreich zu sein, müssen für die Organisationen wichtige Politikfelder kolonisiert werden. Netzwerke sind nichts anderes als Firmenzusammenschlüsse, die Produktpflege betreiben. Durch ihre Rivalität würden sie sich gegenseitig schaden. So sind viele der Aussagen zu den Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeit auf den Klimawandel wissenschaftlich nicht abgesichert, sondern letztlich Vereinbarungen miteinander kooperierender und rivalisierender vom Thema Klimaschutz lebender Organisationen. Jede einzelne darf sich nicht mit zu starken Katastrophenszenarien hervortun, weil sie sich sonst von den anderen isolieren und von diesen gemieden würde, mit der Folge von Prestigeverfall. Auf der anderen Seite muss innerhalb des „vernünftigen“ Bandes von Szenarien jede Organisation dafür sorgen, als besonders engagiert und damit glaubwürdig zu erscheinen.

Der Kampf gegen die Opferung von argumentativer Korrektheit gegen die „Political Correctness“ in der Prestige der Organisationen sichernden vermachteten und vermachtenden Kommunikation durchzieht Lebenswerk und Lebenslauf von Kai Friedrich Schade. Er hatte zu lernen, dass nicht nur die Mächte des Staats, die etablierten Gruppen, die, heute würde man sagen, von Souveränitätsrenten leben, ähnlich dem über den Absolutismus in den nationalistischen Kriegsführungsstaat des europäischen imperialistischen Zeitalters geretteten Staats – , sondern auch die moderne Zivilgesellschaft Mächte generiert, die den angestrebten herrschaftsfreien Diskurs erdrücken, um in der Zivilgesellschaft jene Strukturen zu schaffen, die an gerade dieser Selbstbehauptung und damit auch an Macht orientierte bürokratisch organisierte Gruppen begünstigen.

Kai Friedrich Schade stand und steht als Streiter für Aufklärung gegen die Kolonisation von Diskussionsfeldern, gegen organisierte Deutungsinteressen, die in aufklärerischer Absicht vorgetragene neue Themen und Thesen für sich selbst besetzen und dann im eigenen Machtinteresse verbiegen und manipulieren und dabei durchaus hemdsärmlig für sich den Status des guten Menschen beanspruchen, den sie anderen mit dem Keulenschlag des Vorwurfs des Verstoßes gegen „Political Correctness“ verweigern.

Kai Friedrich Schade steht als mutiger Streiter gegen diese neue Form von Vermachtung von Zivilgesellschaft.

Mit der Würde eines Ehrendoktors zeichnet die Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie nicht nur ein Lebenswerk aus, das im Dienst von Aufklärung in einem von dieser Fakultät betreuten Politikfeld stand. Sie weist in der Person des Ausgezeichneten auch auf diese neuen Tendenzen hin, gegen die er sich wandte, mit der Feder und mit dem Wort.

Sie setzt damit auch ein Zeichen: Die Wandlungen der nur scheinbar herrschaftsfreien Zivilgesellschaft sollten stärker wissenschaftlich bearbeitet werden, um die Bedingungen des herrschaftsfreien Diskurses zu sichern.
In Kai Friedrich Schades Leben hat Asien manches zum mutigen Eintreten für Konzentration auf das Argument beigetragen. Vielleicht kommt daraus sein immer stärkeres Interesse an dieser Welt in den letzten Jahren.

Selbstverständlich waren historisch die asiatischen Kulturen nicht weniger der manipulativen Instrumentalisierung von Kommunikation ausgesetzt, als dies in Europa der Fall war, wo dies permanent im Rahmen von Kirchenreformen, oft eingebettet in breite Volksbewegungen, darunter die deutsche Reformation des Martin Luther, angegangen wurde. In mancher Hinsicht hat die asiatische Betonung der nicht aktiven, sondern kontemplativen, weltlichen Niederlagen und Rückzug aus der Welt stärker als das Christentum einbeziehende Verhalten asiatischer Religionen der Achsenzeit die für herrschaftsfreie Kommunikation notwendige Voraussetzung der Bereitschaft des Individuums zur Autonomie gestützt. Man kann sich im Buddhismus nur selbst befreien. Die Selbstbefreiung impliziert, dass man nicht auf einen intersubjektiv vermittelbaren Sinn in der Welt hoffen kann. Man bleibt damit frei in der Relativierung aller Deutungsmuster, gerade auch der eigenen.

Kai Friedrich Schades Hinwendung zur Karikatur – er hat insbesondere die Karikatur aus den Ländern der Dritten Welt als Stimme des „Südens“ in den Diskurs über die Nord-Süd-Konfliktkonfiguration eingeführt – spiegelt diese Einsicht: Ob Karikatur zersetzt und nichts Positives aufstellt, sei dahingestellt. Letztlich ist die Fähigkeit des Individuums zur Autonomie die Fähigkeit zum Aushalten der unvermeidlichen Relativität alles Positiven.

Fragt sich, ob die zur Autonomie Befreiten nur einsame Streiter bleiben, die sich letztlich als weltabgewandte Sanyassin oder buddhistische Mönche aus der Welt zurückziehen müssen, weil sie diese gegen die vermachtete Manipulation nur verändern könnten, wenn sie sich gleich vielen „organischen Intellektuellen“ der heutigen „Political Correctness“ instrumentalisieren lassen.
Man mag es nicht wünschen, aber es könnte so kommen.

Dann verlören wir eine wichtige Errungenschaft des zivilisatorischen Prozesses, der durch den Kampf der (faulen) Menschen um Effektivierung ihrer Arbeit ausgelöst wurde. Der Kapitalismus stellt die bisher letzte Phase dieses Prozesses dar, weil hier unter den (nie vollständig realisierten) Bedingungen des vollständigen Wettbewerbs die Gesamtsumme des als Überschuss anzueignenden Teils des Wirtschaftsergebnisses den privaten Ausgaben für Investitionen entsprechen muss, so dass Renten (außer Differentialrenten) beseitigt und damit die Grundlage für nicht von demokratischen Bürgern gebilligte, auf partikularer Macht beruhende Einkommen beseitigt werden. Wenn aber über die wachsende Zähigkeit der Märkte in der Folge der Vervielfachung temporärer technischer Monopole, darauf aufbauender Oligopolisierungstendenzen und im Rahmen wachsenden Wohlstands zunehmender Lässigkeit bei der Bereicherung von mehr oder weniger tolerierten Aktivistengruppen innerhalb der Zivilgesellschaft die Grundlagen für die Vermachtung von Zivilgesellschaftung entstehen, dann liegt in der doppelten Fähigkeit der zersetzenden Kritik und der Aufrechterhaltung der Autonomie des Individuums gegen die frühzeitig beobachtete Außenleitung der Menschen die einzige Chance, die Werte der bürgerlichen Revolution zu bewahren. In einer Welt der Globalisierung von Renten aufgrund der Zerstörung der Knappheit von Arbeit werden unsere Nachkommen vielleicht die Zeit von Kapitalismus und bürgerlicher Gesellschaft als für die Entfaltung des Individuums paradiesisch zurückwünschen, ohne dazu angesichts des Reichtums der Menschheit fähig zu sein.

Das PDF-Dokument der Leipziger Universitätsreden, Neue Folge Heft 107, Reden zur Ehrenpromotion Kai Friedrich Schade, vom 30. Januar 2008, ist unter:

http://www.zv.uni-leipzig.de/service/publikationen-informationsmaterial/universitaetsreden.html

verlinkt und mit dem Direktlink:

http://www.uni-leipzig.de/pdf/unireden/Heft_107.pdf

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